Zahnbehandlung in der Mongolei
Die Mongolei, ein Land viereinhalb Mal so groß wie Deutschland, hat nur etwa 3 Millionen Einwohner, von denen 40% in der Hauptstadt Ulaanbaatar leben.
In den letzten Jahren ist dieses Land auch bei uns vermehrt als Reiseland bekannt geworden, mit wunderschönen Landschaften und liebenswerten, gastfreundlichen Menschen, die zu einem großen Teil noch naturverbunden als Nomaden mit ihren Herden leben.
Freundlicherweise hat uns die mongolische Fluggesellschaft MIAT 20 kg Übergepäck für zahnärztliche Materialien zugestanden. Mit einer modernen Boeing 767 sind wir ab Frankfurt nach acht Stunden Direktflug, bei sieben Stunden Zeitverschiebung, erwartungsfroh auf dem Dschingis Khan Flughafen bei Ulaanbaatar gelandet.
Wir, Ulla Huber, eine Zahnärztin aus Darmstadt, die sich mit ihrem Ruhestand noch nicht abgefunden hat, mit ihrer ehemaligen Helferin Kerstin Kelch sowie Anna Clauss, eine junge Zahnärztin aus München und der Verfasser dieses Berichts, sind rasch ein eingespieltes Behandlungsteam geworden, obwohl wir uns vorher nicht kannten.
Zunächst stand jedoch eine Übernachtung mit allen 32 Einsatzteilnehmern in einem Ger Camp (Ger ist der mongolische Name für Jurte) auf dem Einsatzplan. Mit Hischgee gesellte sich noch eine mongolische Übersetzerin, die in Marburg studiert hatte, zu uns ins Nomadenzelt.
Schon zum Mittagessen gab es ein typisch mongolisches Gericht: Buuds, gedämpfte, schwach gewürzte Teigtaschen mit grob gehacktem, fettem Hammelfleisch. Mongolen schätzen fettes Fleisch, weil es besonders in der kalten Jahreszeit die notwendige kalorienreiche Nahrung liefert.
Am Nachmittag, bei einer Wanderung über einen Steppenhang, war ich über das Vorkommen vieler von zuhause bekannter Pflanzengattungen erstaunt: Löwenzahn, Küchenschelle, Enzian, Thymian, Aster, Vergissmeinnicht, Storchschnabel, Nelke und wilder Rhabarber. Erstaunlich war das häufige Vorkommen einer Edelweißart. Damit stopfen Mongolen gerne ihre Kopfkissen aus, was gegen Kopfschmerzen helfen und gute Träume bringen soll.
Auch die Vogelwelt mit Spatz, Mauersegler, Elster, Milan, Steinschmätzer und Wiedehopf ist in verwandten Arten auch bei uns vertreten. Auffällig waren viele Kolkraben, bei uns eine Rarität.
Die angenehmen Tagestemperaturen, bei sonnigem Wetter von bis zu 30 Grad, sanken nach Sonnenuntergang rasch und ein Daunenschlafsack leistete gute Dienste.
Am nächsten Tag wurden die acht Einsatzteams mit Geländefahrzeugen und in teilweise mehrstündigen Fahrten zu Siedlungen in der gesamten Zentral-Provinz verteilt. Dieses Gebiet, auf Mongolisch Tuv Aimag, ist flächenmäßig größer als Bayern, bei nur knapp 100.000 Einwohnern. Unsere Gruppe war in Dsuunmod, mit 17.000 Einwohnern der Hauptort des Aimags, im relativ gut ausgestatteten Provinzkrankenhaus, eingeteilt. Der mit Betten bestückte Gymnastikraum wurde unser Quartier für die nächsten zwei Wochen.
Eigentlich hatten auch wir uns einen Hilfseinsatz in entlegenen Orten ohne zahnmedizinische Versorgung vorgestellt, aber die Krankenhaus-Chefin hat ihr Versprechen erfüllt, uns viel von der Umgebung zu zeigen. So sind wir gleich nach dem Einräumen unserer mitgebrachten Materialien in zwei Behandlungszimmer zu einem Naadam-Fest, über abenteuerliche Abkürzungen mit einem robusten, geländegängigen russischen UAZ-Kleinbus, gefahren worden. Neben Ringen und Bogenschießen war der Zieleinlauf der vierjährigen Pferde mit Kindern als Reiter nach 30 km Distanz der Höhepunkt der Veranstaltung.
In den nächsten zwei Wochen haben wir uns dann um die Zähne der Mongolen aus unserem Einsatzort gekümmert. Es gab aber auch Nomaden, die in mehrstündigen Fahrten, aus über 100 km Entfernung, mit Zahnschmerzen angereist waren.
In der ganzen Provinz gibt es nur acht Zahnärzte, von denen sieben mit den anderen Gruppen von „Zahnärzte ohne Grenzen“ unterwegs waren. Unser Team in Dsuunmod unterstütze noch Zulla, eine junge mongolische Zahnärztin sowie ein Zahnmedizin-Student.
Da eine Zahnturbine mit Wasserspray funktionstüchtig war, konnten wir Füllungen legen. Leider war unsere Hauptaufgabe die Entfernung von sehr vielen, völlig zerstörten Milchzähnen. Wir waren von Vorgängergruppen schon vorgewarnt worden, trotzdem war der katastrophale Zustand vieler Kindergebisse erschreckend. Ohne Röntgenaufnahmen konnten bei schmerzenden bleibenden Backenzähnen keine Wurzelbehandlungen durchgeführt werden und so mussten wir auch da schweren Herzens oftmals zur Zange greifen.
Seit in den letzten Jahren auch in der Mongolei die modernen Zeiten mit Handy und Cola Einzug gehalten haben, ist auch der Zuckerkonsum explodiert. Überall gibt es Minimarkt-Läden mit einem riesigen Angebot an Süßigkeiten.
Ein Bewusstsein für Mundhygiene und Einschränkung des Zuckerkonsums scheint bei vielen Mongolen nicht vorhanden zu sein. Wenn in ländlichen Gegenden kein fließendes Wasser vorhanden ist, führt das Lutschen von Bonbons ohne gründliches Zähneputzen rasch zu zerstörten Milchzähnen bei Kleinkindern schon ab zwei Jahren. Bei Jugendlichen sahen wir als Resultat von frühen Milchzahnverlusten massive Zahnfehlstellungen. Von uns deutschen Zahnärzten wurden dazu oft „Wunder erwartet“, die wir leider nicht erfüllen konnten. Erwachsene, die sich in ihrer Jugend traditionell mit Milch- und Fleischprodukten ernährten, hatten bessere Gebisse.
Da gerade Ferienzeit war, konnten wir leider keine Schulen und Kindergärten besuchen, um mit den Kindern und auch den Lehrern zu sprechen.
Uns beeindruckte sehr die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die uns überall in der Mongolei entgegengebracht wurde. So waren wir bei den Eltern unserer Dolmetscherin abends eingeladen. Ein Gebot der Höflichkeit war es, das mongolische Nationalgetränk Airag, vergorene Stutenmilch mit 3 % Alkohol und Aruul, harten getrockneten Quark, zu probieren.
Das Krankenhaus organisierte einen Besuch im Kloster der Stadt, wo uns der Klostervorsteher mit Schnupftabak begrüßte. Das örtliche Provinzmuseum war für uns auch zu später Abendstunde geöffnet.
Am Wochenende waren wir zur Jahresfeier des Krankenhauses mit allen Mitarbeitern auf einem Festplatz im Grünen eingeladen. Nach einem Konzert mit Pferdekopfgeigen, Gesängen und Tänzen waren wir Ehrengäste in einer Jurte. Bei jedem Zusammensein stimmen Mongolen stimmungsvolle Gesänge an. Da unsere Zahnärztin Ulla Huber zuhause in einem Chor mitwirkt, konnten wir uns mit deutschen Liedern revanchieren.
Zum Festmahl durften wir das übliche Anstoßen mit Wodka schon mittags nicht ablehnen.
Am Nachmittag besuchten wir die Dschingis Khan Statue, das größte Reiterstandbild der Welt. Das Tagesziel war der Nationalpark am Tereldsch-Fluss östlich der Hauptstadt. Nachdem uns unser Fahrer durch eine Furt zu einem Jurtencamp, auf die andere Flussseite, gebracht hatte, bat er uns, am nächsten Tag über eine Fußgängerbrücke zurückzugehen, da er nicht mehr wagen wollte durch den Fluss zu fahren. Nach einer Jurtenübernachtung in der herrlichen Natur des Nationalparks und einem Schnellkursus in Reiten erfüllten wir ihm am nächste Tag den Wunsch.
Ein weiterer eindrucksvoller Ausflug führte uns zum Mutterfels etwa 50 km südlich von Dsuunmod. Nach der Legende hat sich eine tugendhafte Schafhirtin nach ihrem Tod in einen Stein verwandelt. Diese Statue ist fast vollkommen mit Seidenbändern eingehüllt. Da der Geist der Hirtin geheime Wünsche erfüllen soll, flüstern Männer ihre Anliegen ins rechte und Frauen ins linke Ohr der Figur. Ob mein Wunsch in Erfüllung geht, bleibt abzuwarten.
Neben kleinen Opfergaben (auch Süßigkeiten) zeugen Verschütten von Milch, Verstreuen von Reis und Umschreiten der Stelle dreimal im Uhrzeigersinn von Ritualen einer alten vorbuddhistischen Religion.
Neben dem Buddhismus gibt es in der Mongolei noch die ursprüngliche Religion des Schamanismus, mit seinem Geisterglauben. Der dominierende Buddhismus hat einige schamanische Elemente integriert und lebt mit diesem in friedlicher Koexistenz. Ein häufig sichtbares Zeichen des Schamanismus sind Ovoos, Steinhaufen auf Hügeln als Wohnsitz örtlicher Geister, die mit bunten Stoffstreifen und Opfergaben bedeckt sind.
Auf der Weiterfahrt sahen wir eine Gruppe von riesigen Mönchsgeiern beim Fressen.
Eindrucksvoll war ein zufälliges Treffen mit einem Pferdezüchter in der Steppe. Mit Stangenlassos wurden dort Fohlen aus der Herde gefangen, niedergeworfen und mit einem Brandmal versehen.
Wir wollten noch eine Nomadenfamilie besuchen. Unser Fahrer konnte keine Wegspuren mehr erkennen und ist nach Befragen eines Hirten einfach weglos über einen steinigen Bergsattel gefahren.
In der Jurte der Nomaden gab es wieder Airag und Wodka zur Begrüßung. Wir revanchierten uns mit Zahnbürsten und Grundnahrungsmitteln. Abends wurden Pferdestuten gemolken und Ulla durfte selbst mit zugreifen.
Ein Stromgenerator und Satellitenfernsehen waren Attribute der Neuzeit.
In 80 Einsatzstunden konnte unsere Gruppe fast 700 Patienten behandeln und neben notwendigen Zahnextraktionen auch viele Füllungen legen. Die 76 ehrenamtlichen Helfer des gesamten Mongolei-Einsatzes im Juli und August 2015 haben insgesamt über 13.000 Patienten behandelt; mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Künftig soll vermehrt auf Aufklärung in Kariesprophylaxe bei Kindern Wert gelegt werden.
In den letzten drei Tagen kamen wieder alle Einsatzteilnehmer zusammen, um gemeinsame Ausflüge zu unternehmen. Nach Berichten anderer Gruppen über zwei Wochen Übernachtungen in Jurten ohne fließendes Wasser und regelmäßige Stromversorgung sowie Trockentoiletten hatten wir es in Dsuunmod recht gut getroffen.
Eine Bustour führte uns gemeinsam zum Kloster Aglag, an einem Berghang, etwa 100 km nördlich von Ulaanbaatar. Dort gab es einen Rundweg zu Energie-Felsen mit verschiedenen Bedeutungen.
Ein Fels, durch den eine enge Höhle führte, wurde als Gebärmutterstein bezeichnet. Wer sich durch dieses Loch zwängt und sich darin dreimal im Uhrzeigersinn dreht, soll wie neu geboren auf der anderen Seite herauskommen. Einige junge Kolleginnen haben sich durch den Fels hindurchgequetscht, obwohl sie eine Verjüngung gar nicht nötig hatten.
Auf dem Rückweg durch ein Waldstück ertönt plötzlich ein Warnruf: „Vorsicht Schlange“! Natürlich musste das Reptil sofort mit dem Teleobjektiv fotografiert werden. Später habe ich herausgefunden, dass wir eine sehr giftige Halysotter gesehen hatten, nach deren Biss sogar Gliedmaßen amputiert werden mussten.
Schon beim ersten Treffen mit dem Vater unserer mongolischen Dolmetscherin hatte ich eine Wanderung im Bergmassiv Bogd Khan Uul zwischen Ulaanbaatar und Dsuunmod angeregt. Das Gebiet ist das älteste Schutzgebiet der Welt. Seit 1778 wird der, den Mongolen schon seit der Zeit von Dschingis Khan heilige Berg, streng geschützt und Jagd war bei Todesstrafe verboten. Da die Meisten unserer Einsatzgruppe den vorletzten Tag zu einem Ausflug nach Ulaanbaatar nützten, waren wir nur vier Deutsche in Begleitung von fünf Einheimischen, die sich auf den Weg über etwa 600 Höhenmeter zum Gipfel Tsetsee Gun in 2256 m Höhe machten. Unser Steig führte durch ursprüngliche Wälder, in denen Wölfe leben. Für die Begleitung unserer mongolischen Freunde waren wir daher sehr dankbar. Wir durchquerten auch ein Hochmoor mit Wollgräsern und einer Eisenhutart, bevor wir den Gipfelbereich mit einem Opferplatz, geschmückt mit bunten Bändern, erreichten. Die eigentliche Bergspitze durften nur Männer erklimmen.
Nach Norden schweifte unser Blick bei herrlichem Sonnenschein bis Ulaanbaatar.
Überraschenderweise hatten unsere mongolischen Bergkameraden ein Picknick in ihren Rücksäcken verstaut und wir konnten bei unserer Bergrast wieder mit Wodka auf mongolisch-deutsche Freundschaft anstoßen.
Zurück beim Eingang zum Nationalpark wurden wir erneut mit einem Festessen, organisiert von der Leiterin des Gesundheitsamtes, in eine Jurte bewirtet.
Am vorletzten Tag unserer Reise gab es noch eine Schlussveranstaltung in Aimag-Zentrum in Dsuunmod im Beisein des Bürgermeisters von Dsuunmod, des Präsidenten des Aimags, der Leiterin des Gesundheitsamtes sowie des Geschäftsführers der deutschen Botschaft aus Ulaanbaatar.
In einer eindringlichen Rede an die Provinzpolitiker hat die Zahnärztin Ulla Huber auf deren Verantwortung für bessere Unterweisung in Mundhygiene und gesündere Ernährung an Kindergärten und Schulen appelliert. Als ich zum Abschied einen Beutel Bonbons geschenkt bekam, habe ich befürchtet, dass die Übersetzung unserer Dolmetscherin doch nicht richtig verstanden wurde.
Unsere letzte Übernachtung in Ulaanbaatar gab uns noch Gelegenheit, die im Zentrum modern geprägte Hauptstadt kennen zu lernen. Nach dem Besuch von berühmten Klöstern und Museen steuerte ich am letzten Abend das gut besuchte Khan-Brauhaus an. Pferdewiener von der Speisekarte waren nicht mein Geschmack, ein Schnitzel und Bier der deutschen Brauerei dagegen ein Genuss.
So hatten wir neben unserer umfangreichen Behandlungstätigkeit noch sehr viel von dem wunderschönen Land Mongolei und seiner gastfreundlichen Bevölkerung kennenlernen dürfen.