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Zahnbehandlung in der Kalahari

Erfahrungen von Dr. Werner Gebhard im nördlichen Namibia

Vom 20. Oktober 2012 bis 3. November 2012 arbeitete ein deutsches Zahnärzteteam zwei Wochen im Auftrag von „Zahnärzte ohne Grenzen“, einer Stiftung des nürnberger Kieferorthopäden Dr. Claus Macher, im Gebiet der Stadt Grootfontein im Nordosten Namibias. Eine Zahnärztin, zwei Zahnarzthelferinnen sowie der Verfasser des Berichtes, vier Menschen aus verschiedenen Teilen Deutschlands zusammengewürfelt, die in Afrika einen abenteuerlichen Einsatz bestehen wollen.

Namibia, ein Land doppelt so groß wie Deutschland mit nur zwei Millionen Einwohnern und zahlreichen Spuren aus der deutschen Kolonialzeit, ist ein Traumziel für Reisegruppen aus Deutschland. Entsprechend voll belegt und eng bestuhlt war der Flug von Air Namibia, die als einzige Fluglinie Frankfurt mit Windhuk, der Hauptstadt von Namibia, direkt verbindet. 20 kg Übergepäck mit Hilfsgütern nahm die Fluggesellschaft kostenfrei mit.

Nach zehn Stunden Nachtflug und 540 km Fahrt bei Linksverkehr in einem bereitgestellten Wagen erreichten wir wohlbehalten unsere Unterkunft in Grootfontein, einer Kleinstadt im Nordosten Namibias. Max Beyer, gebürtiger Namibier deutscher Abstammung und Besitzer einer großen Rinderfarm in der Nähe, stellte uns dort eine große Wohnung zur Verfügung, in der wir sehr gut untergebracht waren.

District Hospital Grootfontein

In der ersten Woche war unser Einsatzort ein von Vorgängergruppen eingerichtetes Behandlungszimmer im „District Hospital Grootfontein“ mit einer fest installierten und einer zusätzlichen mobilen Zahnarzteinheit. Am ersten Arbeitstag wollten wir eigentlich vormittags die vorhandene Einrichtung sichten und unsere mitgebrachten Hilfsmaterialien einsortieren.

Zu unserer Überraschung warteten schon viele Patienten auf uns. Ein gut bestücktes, sterilisiertes Instrumentensortiment lag für uns bereit und so konnten wir gleich zu Beginn viele Patienten von ihren Zahnschmerzen befreien.

In der 16000-einwohnner-Stadt Grootfontein gibt es zwar einen privaten Zahnarzt, ein großer Teil der schwarzen Bevölkerung kann sich aber eine Behandlung dort nicht leisten und nahm dankbar das Angebot einer kostenlosen Versorgung von „Zahnärzte ohne Grenzen“ an.

"Arbeitsalltag"

Unsere Arbeit bestand hauptsächlich aus Zahnextraktionen verschiedener Schwierigkeitsgrade, darunter viele Weisheitszähne. Der ungewohnt harte Kieferknochen der Afrikaner erschwerte oft diese Behandlungen. Auch einige Füllungen und eine Wurzelbehandlung waren möglich. Vornamen einigen Afrikaner, wie Helene, Gottlieb, Gert und Frans, kamen uns irgendwie bekannt vor.

Am dritten Behandlungstag kündigte eine Krankenschwester einen Patienten im Rollstuhl mit Asthma an. Als ein alter Mann mit einem windigen Mundschutz gebracht wurde, gab die Schwester zu, dass er an Tuberkulose litt. Mit doppelten Handschuhen, Schutzbrille und speziellen Mundschutzmasken, die meine Apotheke zuhause noch aus der „Schweinegrippezeit“ vorrätig hatte, konnten wir dem armen Mann zwei schmerzende, lockere Zähnen ziehen.

Nachmittags erwartete uns eine weitere Überraschung im Wartebereich. Gefängniswärter entfernten die Handschellen von vier Gefangenen, alles Buschmännern, die zur Zahnbehandlung antraten. Ein Wärter übersetzte von der Buschmannsprache mit ihren für uns seltsamen Klick- und Schnalzlauten ins Englische. Zwei der Gefangenen hatten keine defekten Zähne, sie wollten anscheinend einen Ausflug machen.

Gegen Ende der ersten Behandlungswoche war der Patientenandrang nicht mehr so stark. So konnten wir die Geräte für den in der zweiten Woche geplanten Einsatz im „Busch“ testen, eine mobile Behandlungseinheit mit Absauganlage, zerlegbare Behandlungsstühle und einen Sterilisator, der mit Strom oder Gas betrieben werden konnte.

Am Wochenende nutzten wir die Möglichkeit in Namibia auch wilde Tiere zu sehen. Nach 250 km Fahrt war der Nationalpark bekannte „Etoscha-Pfanne“ erreicht. Elefanten, Giraffen, Nashörner, Strauße, verschiedene Antilopen, Löwen und sogar ein Leopard liefen uns dort vor die Kamera.

Am Sonntag waren wir bei Max Beyer zum Grillen auf seiner Gästefarm eingeladen. Vor dem Essen bekamen wir noch einen großen Schrecken, als die Hunde der Farm plötzlich in einem Steinhaufen neben dem Grillplatz eine Speikobra aufscheuchten. Bis Max mit dem Schrotgewehr kam, war die Schlange glücklicherweise wieder verschwunden.

Einsatz im "Busch"

In der zweiten Woche machten wir uns dann mit einem vollgepackten Geländefahrzeug des namibischen Gesundheitsministeriums auf den Weg ins Buschmannland östlich von Grootfontein an der Grenze zu Botswana. Unser Fahrer hieß Walla und war vom Stamm der Damara. 260 km Schotterpiste lagen vor unserem Endziel Tsumkwe, dem Hauptort des Gebiets.

Auf halber Strecke passierten wir den Veterinärzaun, der das nördliche Namibia von Ost nach West durchschneidet. Schon von den deutschen Truppen angelegt, soll er das Farmland südlich des Zaunes vor Viehseuchen aus dem Norden, wie z. B. der Maul- und Klauenseuche, schützen. Im Norden des Zaunes fehlen die im Süden allgegenwärtigen Zäune der Rinderfarmen, die Landschaft ist dort freie Dornbuschsavanne. Der Zaun ist auch eine Trennlinie zwischen dem armen schwarzen Namibia im Norden und dem von Europäern geprägten, wohlhabenderen weißen Namibia im Süden.

Für unseren Fahrer, waren die dort lebenden San, wie die Buschmänner auch genannt werden, keine gleichberechtigten Mitbürger. Eigentlich Ureinwohner Afrikas wurden sie von einwandernden Bantuvölkern (Ovambos, Hereros, Namas) und schließlich auch von den Weißen in die unwirtlichen Randgebiete der Kalahari-Wüste abgedrängt. In einzigartiger Weise haben sie gelernt in der trockenen Savanne zu überleben. Dieses traditionelle Leben führen aber nur noch wenige der etwa 45.000 verbliebenen San. Von zierlichem Körperbau, nur 140 cm bis160 cm Größe, gelblich-sandfarbener Hautfarbe und kurzen Haaren unterscheiden sie sich markant von allen anderen Stämmen Afrikas.

Die Sane leben als friedvolles Volk in Einklang mit der Natur. Leider ist bei ihnen Aids in erschreckendem Maße verbreitet. Jede dritte schwangere Frau ist von dem HIV-Virus infiziert. Auch an Tuberkulose leiden dort viele Menschen. Alkoholismus ist ein weiteres Problem. Malaria kommt ebenfalls vor, hauptsächlich in der Regenzeit von Dezember bis April, wenn die Anopheles-Mücken sich ideal entwickeln können. Obwohl wir nicht in der Hochrisikozeit unterwegs waren, schliefen wir nachts unter Moskitonetzen.

Hospital in Mangetti

Unsere erste Station im Buschmannland war das Hospital in Mangetti, das von einer schweizer Ärztin seit langer Zeit betreut wird. Leider haben wir sie nicht angetroffen. Dort herrschten grenzwertige hygienische Verhältnisse: kein fließendes Wasser, Armut, Trostlosigkeit, viele Patienten mit Tuberkulose in der Krankenstation - für uns eine ergreifende Erfahrung. Trotzdem behandelten wir mit Schutzbekleidung 15 Patienten, wieder meist Zahnentfernungen.

Klinik in Tsumkwe

Gegen Abend erreichten wir endlich die Klinik in Tsumkwe und konnten im zugewiesenen Raum mit Strom und fließendem Wasser zwei Behandlungsstühle aufstellen und unseren Sterilisator laufen lassen. Wie wir schon vorher wussten, war in der Übernachtungs-Lodge in der ersten Nacht Zelten angesagt, da eine durchreisende deutsche Reisegruppe alle Zimmer belegt hatte. Die mitgenommenen, geräumigen Zelte waren schnell aufgebaut und wir haben diese Nacht gut verbracht.

Zu unserer Überraschung kamen am nächsten Vormittag nur wenige Patienten zur Behandlung, obwohl unser Erscheinen angekündigt war. Wir waren die vierte Zahnärztegruppe an diesem Ort mit nur 5000 verstreut lebenden Bewohnern und unsere Vorgänger waren schon fleißig gewesen. Während wir in unserem Quartier auf Schmerzfälle warteten tauchte unser Fahrer, der kurz etwas erledigen wollte, erst nach Stunden völlig betrunken wieder auf. Ihn interessierte nur noch der kleine Pool der Anlage, wo er die nächste Zeit verbrachte. Er überließ uns wenigstens den Autoschlüssel und so konnten wir zur Klinik zurückfahren und unsere Sachen wieder einpacken.

Kalahari New Hope und Omatako

Nach einer Nacht wieder in normalen Betten hatten wir für die Rückfahrt am nächsten Tag noch zwei lohnendere Ziele. Nach Abzweig von der Hauptpiste erreichten wir zuerst das Kinderdorf „Kalahari New Hope“. Eine rumänische Familie hat hier mit Kirchengeldern ein Kinderdorf im Busch aufgebaut. Mitten in der Vorbereitung des Mittagessens für viele hungrige Kinder hat uns die tüchtige Leiterin, Cornelia Pater, herzlich begrüßt und mit Kaffee und Kuchen versorgt. In einer großen Halle erschienen die Kinder des Dorfes nacheinander in kleinen Gruppen im Gänsemarsch. Nach zwei Stunden hatten wir 40 Kinder und einige Erwachsene untersucht und bei Bedarf behandelt. Die mitgebrachten Zahnbürsten werden zukünftig hoffentlich fleißig eingesetzt.

Weiter ging es zu unserem letzten Anlaufpunkt bei unserem Außeneinsatz, der Klinik im Ort Omatako. Das Gebäude war neu gebaut, hatte saubere, freundliche Räume mit Strom und Wasser, nur ein Telefon fehlte. So war unser Kommen zwar angekündigt worden, unsere Ankunftszeit konnten wir aber nicht durchgeben.

Der Ort war von Zahnärzten unserer Organisation noch nicht besucht worden und so fand sich schnell eine größere Anzahl Patienten ein, die dankbar war, endlich ihre Zahnschmerzen los zu werden. Der Krankenschwester mussten wir versprechen, bald wieder eine Zahnärztegruppe vorbeizuschicken.

Auf der weiteren Rückfahrt hatten wir dann noch eine fast obligatorische Reifenpanne, bevor wir endlich wieder in unserer Unterkunft in Grootfontein ankamen. Am nächsten Tag folgte noch ein letzter Arbeitstag im Hospital mit Behandlung weiterer Patienten und Herrichten der Ausrüstung für das nächste Zahnärzteteam. Dann hieß es Abschied nehmen von den Mitarbeitern des Krankenhauses von Grootfontein und von Farmer Max Beyer, der uns vor Ort so hervorragend betreut hat.

Rückreise

Bis zum Jahresende werden noch zwei weitere deutsche Zahnärztegruppen in den Norden von Namibia reisen, um dort die Arbeit von „Zahnärzte ohne Grenzen“ fortzuführen.

Am nächsten Tag, einem Freitag, fuhren wir frühmorgens los, um bis 12.00 Uhr den Flughafen von Windhuk zu erreichen, damit die beiden Zahnarzthelferinnen ihre Rückflüge pünktlich erreichen konnten. Ab Montag mussten sie nach zwei Wochen „Urlaub“ wieder in ihren Praxen arbeiten.

Ich bin noch für drei Tage an die Küste nach Swakopmund mit seinen vielen deutschen Spuren gereist, dann ging auch für mich eine eindrucksvolle Reise mit vielen bewegenden Erinnerungen zu Ende.